Essstörung, Wiegedruck und ein neuer Weg
Warum ich heute schreibe
Heute möchte ich erzählen, was in letzter Zeit passiert ist, wie es mir bis letzte Woche ging – und welche Entscheidung ich für mich getroffen habe.
Es geht um ein sehr persönliches Thema: meine Essstörung.
Kurz erklärt warum, wieso dieser Beitrag und worum es geht: Ich habe eine Essstörung inkl. vieler typischen Begleit- und Folgeerkrankungen wie z.B. Depressionen, Soziale Phobie und Angststörungen. Mein Höchstgewicht waren 268,4 kg und beim letzten Wiegen im Februar waren es 219,9 kg.
Das Wiegen – mein psychologischer Abgrund
Am 14.04. hätte ich eigentlich Wiegetag gehabt. Doch schon etwa 10 Tage vorher begann alles, sich in mir zusammenzuziehen. Mein Psych hatte mir im letzten Jahr geraten, mich regelmäßig zu wiegen – obwohl ich klar gemacht hatte, dass mich das Wiegen emotional destabilisiert, wenn ich nicht innerlich dazu bereitet bin.
Diese fixen Termine sind für mich keine Motivation – sie sind ein Risiko. Ein psychologischer Trigger. Und genau das, wovor ich so große Angst hatte, ist nun eingetreten.
Ich konnte nicht standhalten.
Zwischen Stolz und Kontrollverlust
Anfang April lief es eigentlich gut. Ich hatte ein Fasten gut durchgezogen, meine Ernährung im Griff, war sogar ein wenig stolz auf mich. Doch je näher der Wiegetermin rückte, desto stärker wurde der innere Druck.
Ich konnte kaum noch schlafen. Mein Kopfkino hörte nicht auf: Wiegen. Versagen. Rückschritt. Angst.
Und dann – der Kontrollverlust. Ich aß immer mehr, verlor jeden Halt.
Mein Körper fühlte sich schwer an, voll mit eingelagertem Wasser. Mein Geist noch schwerer – gefüllt mit Schuldgefühlen und Selbsthass.
Das ist das Muster, das ich aus meiner Vergangenheit kenne. Und genau davor habe ich im Vorfeld gewarnt: Für mich ist das Wiegen keine neutrale Handlung – es ist ein massiver, psychischer Einschnitt.
Was das Wiegen wirklich mit mir macht
Für viele mag ein Wiegetermin eine Zahl sein. Für mich ist es ein Sturm. Ich habe große Schwierigkeiten mit Druck und Stress – und das Wiegen ist für mich purer Druck. Es triggert Angst, Scham, Selbsthass, das Gefühl zu versagen. Dazu bringt es mich aus dem Gleichgewicht und es reißt alle Wunden auf.
Und dann sah es so aus: Ich kann nicht mehr. Ich schaffe es nicht mehr, Tag für Tag gegen diesen Fressdruck zu kämpfen. Gegen die inneren Dämonen meiner Essstörung. Gegen das ständige Gefühl, nicht gut genug zu sein.
Jeder Bissen wird zur Qual. Ich verliere das Gefühl dafür, was mein eigener Wille ist – und was bloß die Angst vor der Meinung anderer.
Mein Körper schreit nach einer Pause
Und so habe ich eine Entscheidung getroffen: Ich mache eine Pause. Zwei bis vier Wochen. Kein Programm. Keine Diät. Kein Wiegen. Keine Schuldgefühle.
Ich will einfach mal leben. Durchatmen. Zur Ruhe kommen. Kraft sammeln.
Danach – mit hoffentlich neuer Energie und einem klareren Kopf – will ich zurückkehren.
Was sich ändern wird
Ich werde mich nicht mehr regelmäßig wiegen. Erst dann, wenn ich innerlich wirklich bereit dafür bin. Alles andere wäre Selbstzerstörung.
Ich kann und werde diesen endlosen Kampf nicht mehr so weiterführen: jede Woche alles geben, mich verausgaben – nur um dann durch einen einzigen Wiegetermin wieder komplett aus der Bahn geworfen zu werden. Es zerreißt mich. Und das darf nicht mehr passieren.
Wie es mir jetzt geht
Seit dem 14. Februar mache ich keine Diät, folge keinem Programm, steige nicht auf die Waage. Ich atme. Ich lebe. Ich existiere – und das fällt mir endlich ein wenig leichter.
Ein großer Teil des Drucks ist abgefallen. Mein Kopf ist ruhiger. Und das ist viel wert.
So wird es erst einmal bis Ende des Monats weitergehen. Ich habe schon einige Ideen, wie es dann weitergehen könnte – aber ich will noch nicht zu viel planen. In der letzten Aprilwoche werde ich meine Gedanken sortieren und sie hier mit euch teilen.
Noch etwas Wichtiges zum Schluss
Ich lasse die Zügel nicht komplett los. Denn ich weiß, was passiert, wenn ich das täte. Die Essstörung würde komplett übernehmen – in einem Ausmaß, das sich viele Menschen gar nicht vorstellen können.
Deshalb:
Ich bleibe achtsam. Ich höre auf mich. Ich bleibe in meiner Verantwortung – aber ohne mich selbst zu zerbrechen.
Also: Akku aufladen. Atmen. Sein.
Und dann sehen wir weiter.
Danke, dass du das gelesen hast –
Sky
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Hallo Sky,
puh, ein schwieriges Thema… da kann man sich noch so oft sagen, dass das Gewicht nur eine Zahl ist und rein gar nichts über den eigenen „Wert“ aussagt – so ist es einfach nicht für einen selber. Ich war rund 20 Jahre essgestört (habe mir sehr viele Nahrungsmittel verboten, exzessiv Sport gemacht, mich x-mal am Tag gewogen etc.) und auch wenn ich seit rund 4 Jahren relativ normal esse – die Angst vor dem Wiegen bleibt. Egal welche Zahl angezeigt würde – sie wäre zu viel. Und ich weiß mittlerweile, dass ich in nullkommanix rückfällig werde, wenn ich wieder mit dem Wiegen anfange. Wenn ich bei Ärzten nach dem Gewicht gefragt werde, kann ich eine Zahl x nennen, die für mich okay ist und die plus/minus zwei Kilo hinkommt. Aber ich werde einen Teufel tun und mich beispielsweise offiziell wiegen lassen, um die paar Bonuspunkte bei der Krankenkasse abzusahnen. Das würde voll nach hinten losgehen.
Ich finde deinen Ansatz stark… du suchst dir deinen eigenen Weg, achtest auf dich und kämpfst für dich statt gegen dich. Das macht man als Essgestörter ja eh schon so oft und so verbittert… dabei kann man, wenn man gegen sich selber kämpft, nur verlieren. Und letzten Endes hilft alles, was Druck und Stress rausnimmt, weil das ja oft die Haupttrigger sind, die man mit dem Essverhalten nolens volens zu kompensieren versucht.
Ich wünsche dir ganz viel Kraft und Zuversicht!
Liebe Grüße
Anne
Guten Morgen, Anne
Wow – was für ein mega Kommentar, danke dir von Herzen dafür!
Absolut! Wiegen hat eine unglaublich starke psychische Wirkung. Umso schöner ist es zu lesen, dass du den Schritt hin zu einem normalen Essen geschafft hast. So wie ich es aus deinen Worten herauslese, hast du ein gutes Körpergefühl entwickelt und kannst dich selbst gut einschätzen. Und genau das ist letztlich das Entscheidende – dafür braucht es dann kein Messgerät.
Seitdem ich diese Entscheidung getroffen habe, kann ich viel entspannter existieren. Ich spüre, wie Motivation und Vorfreude zurückkehren weil im Kopf wieder Platz dafür ist – um bald wieder in mein „Programm“ einzusteigen.
Ich wünsche dir einen wundervollen Ostermontag! <3
Sehr gerne – eine Essstörug ist eh schon ein verdammt einsamer Kampf, da ist es Gold wert, sich ein wenig austauschen zu können.
Die Crux ist halt, dass man sich selbst als Mensch beim Wiegen auf eine einzelne Variable reduziert und seinen ganzen Selbstwert daran hängt – es ist halt auch wirklich verführerisch simpel, diesen Wert zu messen, indem man halt einfach auf die Waage steigt. Andere „Disziplinen“ wie Kreativität, beruflicher Erfolg oder Freundschaft oder was auch immer lassen sich halt nicht so einfach messen und vor allem kann man sich die eigenen Erfolge und Stärken da wunderbar kleinreden. 😉 Zahlen sind da vermeintlich robuster und deswegen gesteht man ihnen mehr Wert zu.
Schön zu hören, dass du für dich Druck rausnehmen konntest! Lass es dir gut gehen!
Liebe Grüße
Anne